B 47, Nibelungenbrücke Worms: "Verlängerung der Nutzungsdauer durch intelligente Digitalisierung"

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Bauwerksübersicht

Die Nibelungenbrücke in Worms ist Teil des Forschungsvorhabens „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ (SPP 100+). Das eigengewichtsdominierte Pionierbauwerk der Spannbetonbauweise vereint sowohl eine herausragende baukulturelle Bedeutung als auch typische bauzeitbedingte Defizite.

Mit SPP 100+ sollen Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung bauwerksbezogener Daten als Grundlage für eine vorausschauende (prädiktive) Bauwerkserhaltung erforscht werden. Im Zentrum steht hierbei das Konzept des Digitalen Zwillings; hier sollen die Daten des BIM-Modells (3D-Objektmodell, BIM Fachmodell „Schäden“ etc.), des statischen Modells (am Objekt kalibrierte nichtlineare FE-Berechnung) sowie des Bauwerkmonitorings (mit dem Schwerpunkt auf Überwachung von Querkraft- und Korrosionsmessgrößen) zusammengeführt werden, um so zukünftige Bauwerkszustände mit Hilfe eines Prognosemodells zuverlässig vorhersagen zu können.

Auf diese Weise wird der LBM einen weiteren und zugleich genaueren Blick auf das Bauwerk gegenüber der üblichen Bauwerksprüfung erhalten.

Die einzelnen Teilprojekte des Forschungsvorhabens werden von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen bearbeitet und von Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx vom Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden koordiniert. Innerhalb dieses Forschungsvorhabens dient die „Nibelungenbrücke Worms“ als Validierungsobjekt, was bedeutet, dass an diesem Bauwerk die Technologie und Methodik des Digitalen Zwillings im Zeitraum 2022 bis 2025 erforscht und getestet werden.

Die „Nibelungenbrücke Worms“ hat somit gute Chancen, ein zweites Mal zu einem Pionierbauwerk zu werden.

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat unter Würdigung der besonderen Bedeutung der Nibelungenbrücke entschieden, die bisherige Erhaltungsstrategie für das Bauwerk, damit ist im vorliegenden Fall der Ersatzneubau ab 2028 wegen Defizite in der Tragfähigkeit (nicht ausreichende Schubbewehrung) und Defiziten in der Bausubstanz gemeint, einer Revision zu unterziehen. Ziel ist es, die Nutzungsdauer der Nibelungenbrücke zu maximieren.

In Abstimmung mit dem BMDV wurde festgestellt, dass sich die „Nibelungenbrücke Worms“ als ein sehr geeignetes Objekt für das Forschungsvorhaben „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ (SPP 100+) anbietet. Mit SPP 100+ sollen Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung bauwerksbezogener Daten als Grundlage für eine vorausschauende Bauwerkserhaltung erforscht werden.

Die Erkenntnisse aus SPP 100+ werden in den Entscheidungsprozess über die Lebensdauer der Nibelungenbrücke einfließen. Aus den erzeugten Daten einer laufenden, erneuten statischen Nachrechnung, sowie eines in Vorbereitung befindlichen umfangreichen Monitorings des Bauwerks sollen zuverlässige Prognosen für die Lebensdauer der Brücke erstellt werden.

Bis heute wurden folgende Teilprojekte auf den Weg gebracht bzw. sind in Vorbereitung:

  • Erneute Nachrechnung mit neuesten wissenschaftlichen Methoden
  •  Digitalisierung des Bauwerkes, seiner Bausubstanz und aller bauwerksspezifischen Kenngrößen (Geometrie, Material, Schäden)
  • Erstellung eines Digitalen Zwillings aus den zuvor ermittelten digitalen Datensätzen
  • Anreicherung des Digitalen Zwilling mit Daten aus dem Brücken-Monitoring
  • automatisierte Beobachtung von zustandskritischen Indikatoren (z. B. Risse)

Durch das Forschungsvorhaben SPP 100+ , den digitalen Zwilling, die Ergebnisse der erneuten, noch nicht abgeschlossenen Nachrechnung und das laufende Monitoring ergeben sich ein neuer Zeitplan für die Lebensdauer der Nibelungenbrücke. Ein Enddatum für die Lebensdauer kann in diesem laufenden Untersuchungsprozess noch nicht genannt werden. Der Ersatzneubau wird 2028 nicht beginnen.

 

Die B 47 quert bei Worms auf zwei separaten Brückenbauwerken mit jeweils zwei Fahrspuren den Rhein und verbindet die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz. In Fahrrichtung „Hessen“ wird der Verkehr über die 2008 fertiggestellte neue Rheinquerung und in Fahrtrichtung „Rheinland-Pfalz“ über die historische Strombrücke geführt. Letztere - auch als „Nibelungenbrücke Worms“ bezeichnet - ist Gegenstand dieser Bauwerksbeschreibung.

Bei der „Nibelungenbrücke Worms“ handelt es sich um eine dreifeldrige Spannbetonbrücke, die zwischen den Jahren 1951 und 1953 im freien Vorbau mit Stützweiten von 101,6 m – 114,2 m – 104,2 m hergestellt wurde. Im Endzustand wurden die biegesteif in die Pfeiler eingespannten Kragträger in Feldmitte über Momentengelenke gekoppelt. 
Während am linksrheinischen Bauwerksende ein kleines Endfeld als Gegengewicht für den Überbau dient, wird der Überbau am rechtsrheinischen Bauwerksende mangels Ballastierungsmöglichkeiten durch Zugglieder und Zugpfähle in der Lage gesichert. Der Überbau besteht aus zwei Hohlkästen, die über die Fahrbahnplatte und Pfeilerquerträger miteinander verbunden sind, und ist sowohl in Längs- als auch in Quer- sowie in Vertikalrichtung vorgespannt.

Die „Nibelungenbrücke Worms“ ist baukulturell von herausragender Bedeutung, da sie gleichzeitig als erste Großbrücke aus vorgespanntem Ortbeton im Freivorbau und als erste Rheinquerung in Spannbetonbauweise gilt. Das Bauwerk ist sowohl nach dem hessischen als auch nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalrecht als Kulturdenkmal erfasst. Darüber hinaus wurde die „Alte Nibelungenbrücke“ am 1. September 2022 von der Bundesingenieurkammer mit dem Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet.

Die infolge der defizitären Schubtragfähigkeit erforderlichen Nutzungseinschränkungen sind bei einer strategisch wichtigen Rheinbrücke langfristig nicht hinnehmbar. Im Ergebnis wurde die „Nibelungenbrücke Worms“ als nicht mehr erhaltungswürdig eingestuft. Mit Abschluss der Instandsetzungsmaßnahme in den Jahren ab 2010 ff. war vorgesehen, dass die Brücke der „kontrollierten Alterung“ zugeführt wird. Die Restnutzungsdauer wurde unter Würdigung aller technisch-wirtschaftlichen Aspekte auf 15 bis 20 Jahre beziffert und ein Ersatzneubau für das Jahr 2028 avisiert.

Ansicht Schaden
Schadensansicht

Mit Blick auf den Status der "Nibelungenbrücke Worms“ als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ wurde die bisherige Erhaltungsstrategie im Jahr 2022 einer Revision unterzogen. Nicht der aktuelle Stand der Technik soll nunmehr als Beurteilungsmaßstab für den Erhalt der „Nibelungenbrücke Worms“ herangezogen werden, sondern der aktuelle Stand der Wissenschaft; das heißt: Auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die noch nicht im Regelwerk abgebildet sind, soll die Restnutzungsdauer neu bewertet werden. Ziel ist eine signifikante Verlängerung der Nutzungsdauer.

LBM-Bauwerksprüfung

Bis zur ersten großen Instandsetzung im Jahr 1974 besaß die „Nibelungenbrücke Worms“ keine wirksame Abdichtung, so dass Chloride über viele Jahre nicht nur in den Fahrbahnplattenbeton, sondern auch über unverschlossene, bauzeitlich genutzte Kühlleitungen, in die Stege der Hohlkästen vordringen konnten. Nach erfolgter Nachrechnung gab es in den Jahren 2010 ff. eine zweite große Instandsetzung mit Verstärkung der Biegetragfähigkeit durch den Einbau zusätzlicher externer Spannglieder.

Auch zur Ertüchtigung der stark defizitären Schubtragfähigkeit wurde ein Konzept erarbeitet, das entsprechend der modernen Fachwerktheorie den nachträglichen Einbau von vertikalen Zugstäben in zahlreichen Bohrlöchern vorsah. Eine Risikobewertung für diesen schwerwiegenden Eingriff ins Tragwerk hat jedoch dazu geführt, dass auf den nachträglichen Einbau von Schubbewehrung verzichtet wurde. Zur Kompensation dieses Defizits wurden regelmäßige Sonderprüfungen sowie eine Sperrung für genehmigungspflichtigen Schwerverkehr angeordnet. Zusätzlich wurde das Ankündigungsverhalten anhand eines modifizierten Ingenieurmodells bei einem postulierten Schubbruch untersucht. Ein schlagartiges Bauwerksversagen konnte damit ausgeschlossen werden. Bislang zeigen sich keine signifikanten Rissbilder.

Derzeit wird die Brücke mit der Zustandsnote ZN = 2,0 („befriedigend“) und mit einem Traglastindex von IV („Tragfähigkeit nicht zukunftsfähig“) nach dem aktuellen Stand der Technik bewertet.

Hierbei ist zu beachten, dass diese beiden Kennziffern weitgehend unabhängig voneinander sind: Während die Zustandsnote den äußeren Zustand beschreibt, gibt der Traglastindex Auskunft über die Zukunftsfähigkeit der inneren Tragfähigkeit. Dementsprechend ist es ein wesentliches Projektziel, die Zukunftsfähigkeit der Tragfähigkeit der „Nibelungenbrücke Worms“ nach dem Stand der Wissenschaft neu zu bewerten.